Gesamtwirtschaftliche Entwicklung

1. Konjunktur in Deutschland

Schwächeres Wachstum und höhere Inflation

Die konjunkturelle Entwicklung Deutschlands wurde 2022 spürbar durch die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine belastet. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt stieg gegenüber dem Vorjahr um 1,8 %. Damit expandierte die Wirtschaftsleistung deutlich schwächer als 2021 (+2,6 %), trotz der auch 2022 noch andauernden Erholung vom Corona-Krisenjahr 2020. Die allgemeine Teuerung legte kriegsbedingt weiter zu. Nach aktuellen Angaben des Statistischen Bundesamtes war die Inflationsrate mit 6,9 % so hoch wie seit fast 50 Jahren nicht mehr. Vorherige amtliche Berechnungen hatten sogar eine noch höhere Inflationsrate von 7,9 % ergeben, die dann aber im Zuge einer routinemäßigen Anpassung nach unten revidiert wurde.

Preisbereinigtes Wirtschaftswachstum in Deutschland

  Veränderung gegenüber Vorjahr in Prozent Wachstumsbeiträge in Prozentpunkten
  2021 2022 2021 2022
Konsumausgaben 1,4 3,4 1,0 2,4
Private Konsumausgaben 0,4 4,3 0,2 2,1
Konsumausgaben des Staates 3,8 1,2 0,8 0,3
Bruttoanlageinvestitionen 1,2 0,4 0,3 0,1
Ausrüstungsinvestitionen 3,5 3,3 0,2 0,2
Bauinvestitionen 0,0 -1,7 0,0 -0,2
Sonstige Anlagen 1,0 2,1 0,0 0,1
Vorratsveränderungen 0,5 0,5
Inländische Verwendung 1,9 3,1 1,8 2,9
Exporte 9,7 2,9 4,2 1,4
Importe 9,0 6,0 -3,4 -2,5
Außenbeitrag 0,8 -1,2
Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2,6 1,8 2,6 1,8

Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand: 24.02.2023. Wachstumsbeiträge: Mögliche Differenzen in den Summen ergeben sich durch Rundung der Zahlen.

Konjunktur trübte sich zunehmend ein

Zu Jahresbeginn war die Wirtschaftsleistung noch kräftig expandiert, befördert insbesondere durch die voranschreitende Erholung der kontaktintensiven Dienstleistungsbereiche vom pandemiebedingten Einbruch 2020. Im weiteren Jahresverlauf verschlechterte sich die Konjunktur aber deutlich, was in einer Schrumpfung zum Jahresende mündete. Hauptgrund für die Ver- schlechterung waren die wirtschaftlichen Begleiterscheinungen des Ende Februar einsetzenden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, wie nochmals steigende Energie- und Rohstoffpreise, länger bestehende Lieferkettenstörungen und enorme Unsicherheiten, nicht zuletzt über die Gasversorgung. Ende August stellte Russland seine Gaslieferungen nach Deutschland vollständig ein. Gedämpft wurde die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zudem durch den bereits vor dem Kriegsausbruch verbreiteten Arbeitskräftemangel und die Spätfolgen der Corona-Pandemie, die sich unter anderem in zeitweisen Lockdowns in wichtigen Häfen und Metropolen Chinas und den streckenweisen hohen Krankenständen hierzulande zeigten.

Gebremster Anstieg der Konsumausgaben

Die Konsumausgaben der privaten Haushalte sind, nach einem geringfügigen Zuwachs im Vorjahr (+0,4 %), im Verlauf von 2022 zunächst kräftig gestiegen. Angesichts der Rückführung von Infektionsschutzmaßnahmen wurde vor allem in den Bereichen Gastgewerbe sowie Freizeit, Unterhaltung und Kultur mehr ausgegeben. Zum Jahresende bremste dann jedoch der Höhenflug der Verbraucherpreise die Kaufkraft der Haushaltseinkommen verstärkt aus. Auf Jahressicht konnten die privaten Konsumausgaben dennoch preisbereinigt um deutliche 4,3 % zulegen und mit soliden 2,1 Prozentpunkten zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum beitragen.

Stagnierende Investitionen

Die Gemengelage aus enormen Preiserhöhungen, andauernden Personal- und Materialengpässen, eingetrübten Ertragsaussichten, weniger günstigen Finanzierungsbedingungen sowie hohen Unsicherheiten belastete das Investitionsklima spürbar. In Fahrzeuge, Maschinen und andere Ausrüstungen wurde angesichts der voranschreitenden Digitalisierung und der zunehmenden Bestrebungen zur Erhöhung der Energieeffizienz zwar mehr investiert. Der preisbereinigte Zuwachs um 3,5 % blieb jedoch etwas hinter dem Anstieg des Vorjahres (+3,3 %) zurück. Die Bauinvestitionen gaben hingegen um 1,7 % nach.

Negativer Außenbeitrag

Der Außenhandel erholte sich weiter vom pandemiebedingten Konjunktureinbruch des ersten Halbjahres 2020. Die Exporte (+2,9 %) und Importe (+6,0 %) legten zu, wenngleich weniger dynamisch als im Vorjahr (+9,7 % beziehungsweise +9,0 %). Dämpfend wirkten nicht zuletzt die anhaltenden Materialknappheiten der deutschen Industrie, die aufgrund des Ukrainekrieges verhängten Sanktionen und die generell schwächere Weltkonjunktur.

Geringeres Defizit der öffentlichen Hand

Die Lage der öffentlichen Finanzen blieb angespannt. Unter anderem wegen verschiedener Einmalzahlungen zur Abfederung der hohen Energiekosten übertrafen die Ausgaben erneut deutlich die Einnahmen, deren Anstieg auch durch den vorübergehend gewährten staatlichen Tankrabatt vermindert wurde. Das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit ist aber gegenüber dem Vorjahr auf erhöhtem Niveau zurückgegangen, von 134,3 auf rund 101,3 Mrd. Euro. Die Defizitquote, die den Finanzierungssaldo ins Verhältnis zum kräftig gestiegenen nominalen Bruttoinlandsprodukt setzt, sank von 3,7 % auf 2,6 %. Der Bruttoschuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt dürfte sich von 68,6 % im Vorjahr auf rund 67 % vermindert haben.

Stabiler Arbeitsmarkt

Auch am Arbeitsmarkt setzte sich die Erholung vom Krisenjahr 2020 fort. Die Zahl der amtlich registrierten Arbeitslosen ging weiter zurück. Trotz eines zeitweisen Anstiegs im Zuge der erstmaligen Erfassung ukrainischer Flüchtlinge gab die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt um etwa 200.000 auf rund 2,4 Mio. nach. Vor diesem Hintergrund sank auch die Arbeitslosenquote nochmals, von 5,7 % im Vorjahr auf 5,3 %.

Höchste Inflationsrate seit 49 Jahren

Die Inflationsrate, gemessen am Verbraucherpreisindex, lag mit 6,9 % im Jahresdurchschnitt 2022 erheblich über ihrem Vorjahreswert von 3,1 %. Einen noch höheren Anstieg der Preise für die Lebenshaltung hatte es in der Bundesrepublik zuletzt 1973 mit 7,1 % gegeben. Maßgeblich für die enorme Teuerung waren die Energie- und Nahrungsmittelpreise, die im Zuge des Ukrainekrieges sowie der andauernden Lieferengpässe um außerordentliche 29,7 % und 13,4 % stiegen.

Stagnation in der Industrie

Das verarbeitende Gewerbe hatte 2022 mit kriegsbedingt beschleunigten Preissteigerungen, anhaltenden Liefer- und Personalengpässen, einer schwächeren Weltkonjunktur und politischen Unsicherheiten zu kämpfen. Die preisbereinigte Bruttowertschöpfung des Wirtschaftsbereichs stagnierte daher im Wesentlichen (+0,2 %), nachdem sie 2021 im Zuge der Erholung vom Corona-Einbruch 2020 noch um kräftige 5,1 % expandiert war.

Rückläufige Wertschöpfung im Baugewerbe

Im Berichtsjahr verdichteten sich die Hinweise dafür, dass der langjährige Bauboom ausläuft. Wichtige Indikatoren wie der Auftragseingang im Bauhauptgewerbe und die Baugenehmigungen im Hochbau folgten im Jahresverlauf einem sichtlichen Abwärtstrend. Die preisbereinigte Bruttowertschöpfung des Baugewerbes sank um deutliche 2,9 % und damit stärker als im Vorjahr (-1,4 %). Hauptgründe für den merklichen Wertschöpfungsrückgang dürften die andauernden Engpässe bei Materialien, Personal und Bauland gewesen sein, die zu neuerlichen kräftigen Baukostenanstiegen führten, sowie die generell verschlechterten Finanzierungsbedingungen im Zuge der Zinswende der Europäischen Zentralbank.

Schwächere Handwerkskonjunktur

Auch im Handwerk hat sich die Konjunktur abgeschwächt. Der vom Zentralverband des Deutschen Handwerks berechnete Geschäftsklimaindikator ist im dritten Quartal auf 97 Punkte gesunken, den niedrigsten Stand seit 2005. Zwar lagen die Umsätze der amtlichen Handwerksberichterstattung, die ebenfalls nur in jeweiligen Preisen verfügbar sind, deutlich im Plus. Über alle Gewerbezweige hinweg nahmen sie in den ersten drei Quartalen 2022 um kräftige 10,3 % zu. Das Wachstum war jedoch vor allem durch höhere Preise getrieben. Die Ertragslage vieler Betriebe dürfte sich wegen der teilweise drastisch gestiegenen Energie- und Materialkosten, die nur bedingt an die Kunden weitergereicht werden konnten, deutlich verschlechtert haben.

Geringerer Einzelhandelsumsatz

Angesichts des starken Anstiegs der Verbraucherpreise und der fortbestehenden Lieferkettenprobleme konnte der Einzelhandel 2022 nicht an das Wachstum der Vorjahre anknüpfen. Der preisbereinigte Einzelhandelsumsatz verminderte sich um 0,6 %, nachdem er 2021 noch um 50,8 % zugelegt hatte. Anders als in den Jahren 2020 und 2021, die stärker von der Corona-Pandemie und den dadurch erheblich veränderten Konsummustern geprägt waren, nahm der Absatz im Versand- und Internet-Einzelhandel nicht weiter zu, sondern ging um deutliche 8,5 % zurück. Der Einzelhandel in Verkaufsräumen konnte hingegen von dem Auslaufen der Infektionsschutzmaßnahmen profitieren und seinen Umsatz um 1,3 % steigern.

Weiteres Umsatzwachstum im Großhandel

Im Kontrast zum Einzelhandel blieb der Großhandel offenbar auf seinem Wachstumskurs. Darauf lassen zumindest die amtlichen Umsatzdaten des Zeitraums von Januar bis November schließen. In diesen Monaten lag der preisbereinigte Großhandelsumsatz gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 1,3 % im Plus. Das Wachstum fiel damit nur wenig schwächer aus als im Jahresdurchschnitt 2021 (+2,0 %). Wie bereits im Vorjahr legte der Absatz in den ersten elf Monaten von 2022 im Großhandel mit sonstigen Maschinen, Ausrüstungen und Zubehör (+5,8 %) und im Großhandel mit Geräten der Informations- und Kommunikationstechnik (+4,8 %) am kräftigsten zu, was angesichts des weiteren Anstiegs der Ausrüstungsinvestitionen nicht verwundert.

2. Finanzmärkte

Krieg in Europa, Inflation, Zinserhöhungen - der Dreiklang an den Finanzmärkten

Das Jahr 2022 wurde auch an den Finanzmärkten vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geprägt, der am 24. Februar 2022 begann. Der Krieg führte zu steigenden Energie- und Rohstoffpreisen, die sich wiederum global in den höchsten Verbraucherpreisinflationsraten seit mehreren Jahrzehnten niederschlugen. Dabei traf die kriegsbedingte Energie- und Nahrungsmittelinflation auf eine bereits hohe Kerninflation, die den Preisauftrieb ohne diese beiden Faktoren misst. Diese hatte in den USA im Dezember 2021 bereits bei annualisiert 5,5 % gelegen, im Euroraum bei 2,6 %. 2022 stiegen beide Kernraten weiter und erreichten 5,7 beziehungsweise 5,2 %. Verantwortlich hierfür waren anfangs vor allem Angebotsengpässe infolge aufgehobener Corona-Beschränkungen weltweit - mit Ausnahme Chinas - und fortbestehende Lieferkettenprobleme infolge eben dieser Beschränkungen. Im Jahresverlauf kamen Zweitrundeneffekte hinzu, als von höheren Kosten betroffene Unternehmen ihre Preise erhöhten.

USA: Fed vollzieht strammen Kurswechsel

Die US-Notenbank Fed straffte ihren geldpolitischen Kurs 2022 also deutlich und erhöhte den Leitzins um 425 Basispunkte. Parallel begann sie den Abbau ihrer Bestände an Staats- und anderen staatsähnlichen Anleihen, die sie während der Niedrigzinsphase und der Corona-Pandemie erworben hatte. Ab Juli verringerte die Notenbank ihre Staatsanleihebestände um monatlich 30 Mrd. Dollar, indem sie fällig werdende Anleihen nicht reinvestierte. Ab September wurden monatlich 60 Mrd. Dollar nicht mehr reinvestiert.

Europa: EZB hadert mit Inflationsgefahren

Zum Jahresbeginn ging die EZB trotz hoher und steigender Inflationsraten noch von einem temporären Inflationsschub aus. In mehreren Schritten beendete sie zuerst ihre Anleihekaufprogramme, die eingeführt worden waren, um die bestehende, stark expansive Geldpolitik noch zu verstärken. Im Februar endeten die Zukäufe des pandemiebedingten Anleihekaufprogramms (PEPP) und im Juli die des schon 2014 gestarteten Anleihekaufprogramms APP. Die Leitzinsen blieben daher zunächst noch extrem niedrig. Parallel stieg die Verbraucherpreisinflation im Euroraum im ersten Halbjahr von 5 auf 8,6 %. Beginnend mit dem 27. Juli erhöhte die EZB dann auch ihren Leitzins erstmals seit dem Jahr 2011. In fünf Monaten stieg er um 250 Basispunkte auf 2,5 %. Zum Jahresende kündigten EZB-Präsidiumsmitglieder weitere Zinsschritte für das Jahr 2023 an, um die Inflation auf den Zielwert von 2 % zurückzuführen.

Anleiherenditen im Aufwärtsgang

Das vergangene Jahr war auch für die internationalen Anleihemärkte außergewöhnlich. Sorgte Russlands Angriff auf die Ukraine unmittelbar noch für einen Rückgang der Anleiherenditen und damit eine Kurserholung, stiegen die Renditen im weiteren Jahresverlauf deutlich. Die zunehmend straffen Zinsschritte weltweit wichtiger Notenbanken, insbesondere aber in den Industrieländern, bewirkten einen deutlichen Kursverfall. Entsprechend deutlich stiegen die Renditen.

Euro fällt zeitweise unter Parität, kann sich aber stabilisieren

Die europäische Gemeinschaftswährung schwächte sich im Jahresverlauf – ausgehend von einem Kurs zum Jahresauftakt von 1,14 Dollar – gegenüber dem Dollar deutlich ab. Insbesondere in den ersten drei Quartalen 2022 wirkten sich die schnelleren Zinserhöhungen der Fed und die erwarteten schweren konjunkturellen Folgen der Energiekrise für Europa durch Russlands Angriffskrieg negativ auf den Wechselkurs des Euro aus. Auch der Status des Dollar als sichere, globale Reservewährung ließ die Gemeinschaftswährung wie viele andere Devisen an Gegenwert verlieren. Im August unterschritt der Euro erstmals seit 2002 die Parität zum US-Dollar. Am 27. September 2022 erreichte er mit einem Wert von 0,96 Dollar sein Minimum. Im vierten Quartal konnte sich der Euro dann jedoch wieder etwas erholen.

DAX schließt mit moderaten Verlusten

An den Aktienmärkten begann der DAX das Jahr mit leichten Verlusten, die sich nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine schnell ausweiteten. Nach noch 15.884,86 Punkten zum Jahresauftakt fiel der Deutsche Leitindex bis zum 8. März auf einen zwischenzeitlichen Tiefstand von 12.831,51 Punkten. Zwar konnten die starken Verluste wieder ausgeglichen werden, die Abwärtsbewegung hielt aber an. Am 29. September erreichte der DAX seinen Jahrestiefstand mit 11.975,55 Punkten, ein Rückgang um 24,6 % zum Stand vom Jahresanfang. Dahinter standen die mit dem Krieg verbundenen Preisanstiege bei Rohstoffen und insbesondere Energie, also Erdöl und -gas. Für Erdgas konnte zudem eine Knappheit mit entsprechenden Rationierungen nicht ausgeschlossen werden. Zudem verteuerte die zunehmend weniger expansive Geldpolitik die Refinanzierung der Unternehmen und senkte die Wachstumserwartungen für das laufende und die kommenden Jahre.

Auf das Gesamtjahr gerechnet verlor der DAX allerdings 12,3 % und zeichnete sich wie die globalen Aktien- und Anleihenmärkte durch deutlich gestiegene Volatilität aus. Im internationalen Vergleich entwickelte sich der Deutsche Leitindex damit schlechter als der europäische Index Euro Stoxx 50, der 11,7 % verlor, oder der traditionelle US-Index Dow Jones mit -8,8 %.